7.3. Mündliche Verhandlung als Videokonferenz
In der Sache T 1378/16 fand am 8. Mai 2020 erstmals eine mündliche Verhandlung vor den Beschwerdekammern als Videokonferenz statt. Die Kammer hielt es für angebracht, auf die Rechtsgrundlage für mündliche Verhandlungen im Sinne des Art. 116 EPÜ einzugehen. Danach haben die Kammern in der Vergangenheit Anträge auf Durchführung mündlicher Verhandlungen als Videokonferenz hauptsächlich deshalb abgelehnt, weil es keinen "allgemeinen Rahmen" dafür gab, d. h. keine geeigneten Videokonferenzräume zur Verfügung standen und die Öffentlichkeit solcher per Videokonferenz durchgeführter Verhandlungen nicht gewährleistet werden konnte (s. z. B. T 1266/07, T 2068/14). Gleichzeitig vertraten die Kammern die Auffassung, dass Art. 116 EPÜ nicht vorschreibt, dass die mündliche Verhandlung mit persönlicher Anwesenheit der Beteiligten durchgeführt werden muss. Mehrere Kammern fanden, dass es in ihrem Ermessen liegt, sich für diese Form der mündlichen Verhandlung zu entscheiden (T 2068/14, T 195/14, T 932/16). S. auch T 1879/16.
Die Sache T 492/18 betraf die Teilnahme einer Begleitperson über eine Videoverbindung an der mündlichen Verhandlung, die als Präsenzverhandlung stattfand. Die Kammer erklärte, dass eine mögliche Durchführung der mündlichen Verhandlung als Videokonferenz davon abhängt, ob die Kammern die dafür erforderlichen technischen Anlagen bereitstellen können. Zum Zeitpunkt der Entscheidung standen den Beschwerdekammern keine Anlagen für die Durchführung mündlicher Verhandlungen in hybrider Form zur Verfügung, d. h. mit persönlicher Anwesenheit einiger Vertreter des Beteiligten in den Räumlichkeiten des Amts und der Fernteilnahme anderer. Daher konnte die Kammer dem Antrag des Beschwerdeführers nicht stattgeben.
Der Fall T 2320/16 (der vor T 1807/15 entschieden wurde) war der erste, in dem eine mündliche Verhandlung vor den Beschwerdekammern ohne das Einverständnis eines der Beteiligten als Videokonferenz stattfand. Die Kammer entschied, dass Art. 116 EPÜ keine bestimmte Form für die mündliche Verhandlung vorgibt, außer dass sie mündlich stattfindet. Insbesondere schließt er mündliche Verhandlungen per Videokonferenz nicht explizit aus.
In T 328/16 wies die Kammer einen nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Aussetzung des als Videokonferenz durchgeführten Termins zur mündlichen Verhandlung und auf Neufestsetzung eines Termins zur mündlichen Verhandlung mit physischer Präsenz aller Beteiligten zurück. Die Kammer teilte den Parteien mit, dass die Umwandlung der Verhandlung von der Präsenzverhandlung zur Videokonferenz zum einen dem Gesundheitsschutz aller Beteiligten angesichts der aktuellen Entwicklung der COVID-19-Pandemie und zum anderen den im Sitzstaat der Europäischen Patentorganisation sowie in ganz Europa geltenden Schutzmaßnahmen dient. Dem Antrag stattzugeben, hätte zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung geführt, zumal bereits eine ursprünglich für den 8. Mai 2020 angesetzte mündliche Verhandlung pandemiebedingt verlegt werden musste. Es liegt im Ermessen der Beschwerdekammer, eine mündliche Verhandlung gemäß Art. 116 EPÜ auf Antrag eines Beteiligten oder, wie hier, von Amts wegen als Videokonferenz durchzuführen, wenn sie dies für zweckmäßig erachtet. Der neue Art. 15a VOBK 2020 kodifiziert die seit Mai 2020 bestehende Praxis der Beschwerdekammern, mündliche Verhandlungen als Videokonferenz durchzuführen.
In T 2030/18 entschied die Kammer, dass es nach der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in G 1/21 vom 16. Juli 2021 date: 2021-07-16 (ABl. 2022, A49) gerechtfertigt ist, die mündliche Verhandlung als Videokonferenz durchzuführen, auch wenn der Beschwerdeführer für eine mündliche Präsenzverhandlung plädierte. In T 2817/19 wurde der Antrag des Beschwerdegegners auf Durchführung der mündlichen Verhandlung als Präsenzverhandlung unter Berufung auf die Entscheidung G 1/21 date: 2021-07-16 der Großen Beschwerdekammer abgelehnt, in der diese die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Form einer Videokonferenz in einem allgemeinen Notfall auch ohne das Einverständnis aller Beteiligten für zulässig befunden hatte.
In T 245/18 rügte der Beschwerdeführer (Einsprechende), dass die Kammer entschieden hatte, die mündliche Verhandlung trotz fehlender Zustimmung einer der beiden Parteien wie geplant als Videokonferenz durchzuführen, ohne das Verfahren bis zur Verkündung einer Entscheidung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 1/21 date: 2021-07-16 auszusetzen. Die Kammer stellte fest, dass sie durch den Verzicht auf die sofortige Verkündung einer Entscheidung und die Festsetzung eines Termins nach Art. 15 (9) VOBK 2020 sichergestellt hat, dass sie sich mit ihrer Einschätzung, die mündliche Verhandlung habe vorliegend als Videokonferenz durchgeführt werden dürfen, nicht in Widerspruch mit der seinerzeit noch ausstehenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer setzt. Wäre diese nun vorliegende Entscheidung anders ausgefallen, hätte die Kammer statt des Erlasses einer Endentscheidung erneut in die mündliche Verhandlung eintreten und hierzu einen neuen Termin bestimmen können. Die in der Entscheidung G 1/21 date: 2021-07-16 ausgesprochene Konkretisierung, dass gegen den Willen einer Partei eine mündliche Verhandlung jedenfalls dann per Videokonferenz stattfinden kann, wenn eine Ausnahmesituation gegeben ist, war nach Ansicht der Kammer vorliegend einschlägig, da eine derartige Ausnahmesituation aufgrund der seit März 2020 andauernden und im Mai 2021 noch mit erheblichen Reiseeinschränkungen einhergehenden und bei weitem nicht beendeten Covid19-Pandemie auch im hiesigen Streitfall ohne Zweifel vorlag. Ein erneuter Eintritt in die mündliche Verhandlung war nicht erforderlich.