5.2.2 Fälle, in denen die Beweislast umgekehrt wurde
Für eine unzureichende Offenbarung ist in der Regel der Einsprechende beweispflichtig. Enthält das Patent keine Informationen dazu, wie ein Merkmal der Erfindung umzusetzen ist, besteht nur eine schwache Vermutung, dass die Erfindung ausreichend offenbart ist. In diesem Fall kann der Einsprechende sich der Beweislast entledigen, indem er plausibel argumentiert, dass das allgemeine Fachwissen den Fachmann nicht befähigen würde, dieses Merkmal in die Praxis umzusetzen. Dann trägt der Patentinhaber die Beweislast für die gegenteilige Behauptung, dass das allgemeine Fachwissen den Fachmann durchaus zur Ausführung der Erfindung befähigen würde (T 63/06, Zusammenfassung dieser Rechtsprechung in T 347/15). Auf diesen Grundsatz wies die Kammer in der Sache T 338/10 hin und stellte fest, dass die fundierte Argumentation des Beschwerdegegners (Einsprechenden) die Beweislast umkehrte. Somit musste der Beschwerdeführer nachweisen, dass es der Fachmann im vorliegenden Fall trotz fehlender Daten und einer nur schwachen Vermutung für wahrscheinlich gehalten hätte, die beanspruchte therapeutische Wirkung zu erzielen. Da der Beschwerdeführer aber kein Argument oder Beweismittel vorlegte, das dieser Anforderung gerecht geworden wäre, befand die Kammer, dass das erteilte Patent den Erfordernissen des Art. 83 EPÜ nicht genügte. In Bezug auf Art. 83 EPÜ wurden diese Grundsätze in der Entscheidung T 518/10 zusammengefasst (s. Kapitel II.C.9).
In T 1889/15 stellte sich in Zusammenhang mit Art. 83 EPÜ die Frage, wie der Einsprechende seiner Beweispflicht nachkommen könne. Die Kammer in T 63/06 hatte erklärt, dass nach Erteilung des Patents eine Vermutung der Rechtsbeständigkeit gilt. Wie gewichtig die zur Entkräftung dieser Vermutung vorgebrachten Argumente sein müssen, hängt von der Stärke der Vermutung ab. Unterschieden wurde sodann zwischen zwei Fällen: Eine "starke Vermutung" liegt vor, wenn das Patent detaillierte Angaben dazu enthält, wie die Erfindung auszuführen ist, einschließlich Versuchsergebnissen für eine bestimmte Eigenschaft. In diesem Fall bedarf es detaillierter Angaben oder Beweismittel, z. B. in Form von Vergleichsversuchen, um eine unzureichende Offenbarung nachzuweisen (T 63/06, Nr. 3.3.1 a) der Gründe). Eine "schwache Vermutung" liegt vor, wenn das Patent keine detaillierten Angaben dazu enthält. In diesem Fall bedarf es weniger gewichtiger Argumente; es genügt, ernsthafte Zweifel aufzuwerfen, z. B. durch eine umfassende und plausible Argumentation (T 63/06, Nr. 3.3.1 b) der Gründe). Im vorliegenden Fall T 1889/15 gab es eine starke Vermutung der Rechtsbeständigkeit in Bezug auf die ausreichende Offenbarung, weswegen ein entsprechend hoher Beweismaßstab an das Vorbringen des Beschwerdegegners (Einsprechenden) anzulegen war, der nachweisen musste, dass die Offenbarung unzureichend war, z. B. durch Vergleichsversuche, die zeigten, dass die Lehre des Patents es nicht ermöglicht, den definierten ESCR-Index verlässlich zu erreichen. Der Beschwerdegegner hatte jedoch – abgesehen von dem Verweis auf zwei fehlerhafte Beispiele – keine detaillierten Argumente geliefert, geschweige denn überprüfbare Beweise, z. B. in Form von Versuchsergebnissen, die etwaige Lücken in der Offenbarung belegt hätten.