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Eileen Ingham and John Fisher CBE

Abstossungsfreies Spendergewebe

Preiskategorie
Forschung
Technisches Gebiet
Medizintechnik
Hochschule
University of Leeds
Dieses britische Forscherduo hat "biologische Gerüste" erfunden. Sie kommen bei der Wundversorgung, als Herzklappenersatz sowie in Orthopädie und Chirurgie zum Einsatz.

Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2018

Dank eines britischen Forscherehepaars, nämlich der Immunologin Eileen Ingham und dem Biotechnologen John Fisher, beide an der Universität Leeds tätig, konnten die Möglichkeiten zum Weichgewebeersatz in der regenerativen Medizin erweitert werden. Ihr patentiertes Verfahren, mit dem die Abstoßung des Spendergewebes durch das Immunsystem verhindert wird, stellt eine sichere Alternative für Patienten dar, die Gewebetransplantate für Haut, Sehnen oder Herzklappen benötigen.

Die Abstoßung von Fremdkörpern ist eine ganz natürliche Reaktion des menschlichen Körpers. Sie betrifft aber leider auch Implantate, die zu restaurativ-medizinischen Zwecken eingesetzt werden. Titan hat sich als biologisch verträgliches Material für Zahnimplantate und -prothesen bewährt, da es keine Immunreaktion hervorruft. Der Ersatz von Weichgeweben wie Haut oder Sehnen hingegen stellte die Rekonstruktionsmedizin jahrzehntelang vor große Herausforderungen.

Eine "Hochzeit" zwischen den Disziplinen Biologie und Physik - versinnbildlicht durch die Heirat des Forscherpaars Ingham und Fisher - hat hier schließlich für Abhilfe gesorgt. Das physikalische Know-how, das Fisher seinem ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund verdankt, gepaart mit dem biologischen Fachwissen seiner Frau Ingham haben ein patentiertes Dezellularisierungsverfahren hervorgebracht, mit dessen Hilfe Gewebe praktisch auf natürliche Weise in den menschlichen Körper "eingepflanzt" wird.

Die Erfindung, die unter dem Namen dCELL®-Technologie von Tissue Regenix - einem aus der Universität Leeds hervorgegangenen und von dem Ehepaar gegründeten Spin-off-Unternehmen - vermarktet wird, löst das Problem der Abstoßung von Transplantatgewebe. Mehr als ein Jahrzehnt wurde an der Universität Leeds daran gearbeitet. Bei dem Verfahren wird das menschliche oder tierische Spendergewebe sorgfältig "gewaschen", um DNA sowie Zellmaterial davon zu entfernen. So erhält man ein biologisches Gerüst, die sogenannte Matrix, auf dem neues Gewebe gezüchtet werden kann, das über exakt dieselben Eigenschaften verfügt wie das Gewebe, für das es als Ersatz dienen bzw. das es reparieren soll.

Gesellschaftlicher Nutzen

Die immer höhere Lebenserwartung und die zunehmende Anzahl chronisch Kranker, die an Diabetes, Herzerkrankungen oder Fettleibigkeit leiden, führen dazu, dass immer mehr Menschen rekonstruktionsmedizinisch behandelt werden müssen. Die patentierte Technologie von Ingham und Fisher bietet eine neue Plattform für die Reparatur und den Ersatz von Weichgeweben und Organen und trägt diesem erhöhten Bedarf somit Rechnung.

Die größten Erfolge damit wurden bisher bei der Behandlung diabetischer Geschwüre erzielt. Schätzungen gehen von rund 415 Millionen Menschen weltweit aus, die an Diabetes leiden.  6 % von ihnen haben Fußgeschwüre bzw. Wunden, die zu Amputationen oder gar zum Tode führen können. Mithilfe der Technologie konnte eine Behandlung entwickelt werden, bei der dezellularisierte menschliche Haut für die Heilung diabetesbedingter Wunden verwendet wird. Seit 2014 In Europa und den Vereinigten Staaten im Einsatz, ist diese Therapie mittlerweile zum Verkaufsschlager geworden.

Ein weiteres Gebiet, in dem der Einsatz der Technologie offenbar recht vielversprechend ist, sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aus Gewebe, das von Menschen oder von Schweinen stammt, und von dem das zelluläre Material mittels Dezellularisierungs-Technologie entfernt wird, werden Ersatzherzklappen hergestellt - das ist einer der Bereiche, auf die Fisher sich besonders spezialisiert hat. Nach zehn Jahren erfolgreicher klinischer Erprobung in Brasilien durchläuft diese Technologie derzeit das Zulassungsverfahren in Deutschland, um dann auch in der EU zum Einsatz zu kommen.

Die Möglichkeiten, die sich aus Inghams und Fishers Innovation ergeben, sind wahrhaft atemberaubend. So hat ihr Unternehmen beispielsweise Lösungen für den Ersatz von Sehnen entwickelt. Die Ersatzsehnen werden entweder aus von Schweinen stammendem Gewebe oder aber aus dem Gewebe menschlicher Spender hergestellt und kommen im Rahmen regenerativer Therapien in der Orthopädie zum Einsatz. Zurzeit laufen klinische Studien in der EU. Das Unternehmen geht davon aus, dass die CE-Zertifizierung erteilt wird und rechnet damit, dass die ersten orthopädischen Sehnen Ende 2018 auf den Markt kommen.

Wirtschaftlicher Nutzen

Um ihre patentierte Erfindung auf den Markt zu bringen, haben Ingham und Fisher 2006 Tissue Regenix gegründet. Das erste Produkt des Unternehmens kam 2014 heraus. Es handelt sich um ein Produkt zur Hautbehandlung mit dezellularisierter Gewebematrix, das in den USA unter dem Namen DermaPure® und in England unter dem Namen dCELL® dermis vermarktet wird. Es verkauft sich so gut, dass die Jahreseinnahmen des Unternehmens von bescheidenen 6 700 EUR im Jahr 2014 auf 1,6 Mio. EUR im Jahr 2016 in die Höhe schossen. Laut dem aktuellen Jahresbericht stiegen die Umsätze des Konzerns auf EUR 6 Millionen im Jahr 2017.

Tissue Regenix ist auf dem Markt für Wundversorgung aktiv, der aktuell auf rund 16 Mrd. EUR beziffert wird und für den ein starkes Wachstum prognostiziert wird. Für 2022 wird ein Gesamtumsatz von 19 Mrd. EUR erwartet.

Sobald die Zulassung erfolgt ist, wird eine Herzkappe zur Befriedigung einer stetig steigenden Nachfrage beitragen. Die Anzahl der Menschen, bei denen eine Herzinsuffizienz diagnostiziert wird, wird bis 2030 voraussichtlich um 46 % ansteigen. Schon heute gibt es einen großen Markt für Mittel zur Herzklappenreparatur und zum Herzklappenersatz. Man geht davon aus, dass er bis 2021 einen Umsatz von weltweit 6,5 Mrd. EUR  erreicht.

Funktionsweise

Schon seit Langem kommt die regenerative Medizin zum Einsatz, wenn es darum geht, schadhaftes oder krankes menschliches Gewebe zu ersetzen. Das Verdienst  von Ingham und Fisher besteht darin, dass sie eine Möglichkeit gefunden haben, Ersatzgewebe zu züchten, bei dem das Risiko einer Abstoßung durch den menschlichen Körper nicht mehr so hoch ist.

 

Bei ihrem Dezellularisierungsverfahren wird das Spendergewebe von Tieren oder Menschen vorsichtig gewaschen. So erhält man eine organische Struktur, die dieselbe physische Form und dieselbe Funktion hat wie das Originalgewebe, aber kaum DNA oder Zellen enthält.

Mithilfe des durch einige europäische Schlüsselpatente geschützten Dezellularisierungsverfahrens erhält man biokompatible Gewebegerüste. Diese können dann in den Körper von Patienten eingesetzt werden, wo die körpereigenen biologischen Reparaturmechanismen greifen können.

Diese "azellulären biologischen Gerüste" haben zwei entscheidende Vorteile: Gewebe, das darauf gezüchtet wird, regeneriert sich. Da das Gerüst jedoch zellfrei ist, löst es keine unerwünschte Immunreaktion aus, was sonst häufig passiert, wenn man biologisches Fremdmaterial in den menschlichen Körper einbringt.

Die Plattformtechnologie ist der Schlüssel zu einer Vielzahl von Anwendungen im Zusammenhang mit unterschiedlichsten Implantaten. Bei der Herstellung von "Ersatzteilen" für  Weichteilgewebe wie beispielsweise Haut, Herzklappen und Sehnen hat sie sich bereits als erfolgreich erwiesen. Weiterentwicklungen für die Regeneration von Knochen sind bereits in Gang.

Die Erfinder

Eileen Ingham kam 1972 als Studentin an die Universität Leeds. Sie ist heute Professorin für medizinische Immunologie am Fachbereich Biowissenschaften der Universität. Sie setzt sich für Frauen in der Wissenschaft ein und wurde dafür auch vom "Suffrage Science Scheme" gewürdigt, einem Programm, das sich ebenfalls der Förderung von Frauen in der Wissenschaft verschrieben hat. Sie ist in zehn Patenten als Erfinderin genannt und wurde 2012 mit dem "Queen's Anniversary Award for Higher Education" und 2011 mit dem "Woman of Outstanding Achievement Award" des UK Resource Centre for Women in Science, Engineering and Technology ausgezeichnet.

John Fisher wurde 2012 in Anerkennung seiner mehr als 40-jährigen Aktivitäten in der Forschung auf dem Gebiet des Medical Engineering sowie in Innovation und Entwicklung zum "Commander of the Order of the British Empire" (CBE) ernannt. Fisher hatte an der Universität Glasgow in Bioengineering promoviert und kam 1988 als Dozent für Biomedizinische Verfahrenstechnik an die Universität Leeds. Bevor er 2016 sein Amt niederlegte, war er 15 Jahre lang Pro-Vizekanzler und Stellvertretender Vizekanzler der Universität Leeds.

Die berufliche Zusammenarbeit zwischen Ingham und Fisher begann im Jahr 1992 an der Universität Leeds. Ihre private Partnerschaft besiegelten sie 1995 mit der Heirat.

Wussten Sie das?

Die Zusammenarbeit von Ingham und Fisher hat noch weitaus mehr Früchte getragen als die Erfindung des Verfahrens zur Dezellularisierung. Auch an einer Reihe weiterer Innovationen haben sie zusammen gearbeitet, und gemeinsam haben sie auch das "Institute of Medical & Biological Engineering" (iMBE) der Universität Leeds gegründet, das für seine Forschung und seine Innovationstätigkeit in der Medizintechnologie weltweites Ansehen genießt.

Fisher leitet am iMBE das viel beachtete Projekt "50 active years after 50" ("50 aktive Jahre jenseits der 50"), das sich mit der Entwicklung neuer medizinischer Geräte und Verfahren beschäftigt, die es Menschen ermöglichen sollen, ihre zweite Lebenshälfte ebenso aktiv zu gestalten wie ihre erste.  

Ingham und Fisher sind übrigens nicht das erste Ehepaar, das beim Europäischen Erfinderpreis erfolgreich ist. 2014 waren Erwin und Ingeborg Hochmair mit den von ihnen entwickelten Cochlea-Implantaten zur Wiederherstellung des Hörvermögens unter den Finalisten in der Kategorie "Lebenswerk". Die Erfindung papierbasierter Mikrochips brachte das Ehepaar Elvira Fortunato und Rodrigo Martins  2016 unter die Finalisten in der Kategorie "Forschung".

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