Ein Aus-Schalter für die Autoimmunerkrankung Lupus: Sylviane Muller als Finalistin für den Europäischen Erfinderpreis nominiert
- Französische Immunologin Sylviane Muller für Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie „Forschung" nominiert
- Mullers Therapie für Systemischen Lupus Erythematosus (SLE) zielt speziell auf sogenannte „T-Zellen" ab, die mit den Symptomen der Krankheit zusammenhängen
- Erstes Medikament, das den Fortschritt von Lupus aufhält, ohne die gesunde Immunfunktion zu beeinflussen
- Benoît Battistelli, Präsident des Europäischen Patentamtes: „Mullers Erfindung ist ein Durchbruch bei der Behandlung einer unheilbaren Autoimmunerkrankung, welche die Lebensqualität für Millionen Menschen beeinträchtigt."
München, 26. April 2017 - Über fünf Millionen Menschen weltweit leiden an der Autoimmunerkrankung Systemischer Lupus Erythematosus (SLE). Ihr Abwehrsystem richtet sich gegen den eigenen Körper, erkennt eigene Zellen als fremd an und greift sie wie schädliche Bakterien oder Viren an. Bislang gibt es kein Medikament, das den Fortschritt der Erkrankung wirksam aufhalten kann. Experten zufolge können daher über 60 Prozent der Betroffenen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht angemessen therapiert werden. Ohne passende Therapie haben die Patienten eine geringere Lebenserwartung, einige erkranken gar an Krebs oder sterben an Organversagen. Eine neue Behandlung macht Patienten jetzt Hoffnung: Die französische Immunologin Sylviane Muller (64) und ihr Team am National Centre for Scientific Research (CNRS) in Paris haben mit „Lupuzor" ein Medikament entwickelt, das nicht nur die Symptome der Krankheit mildert, sondern diese erstmals ganz aufhält. Das Medikament soll 2018 auf dem Markt kommen.
Für diese Leistung wurde Sylviane Muller als einer von drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Forschung" nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung vom EPA im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.
„Sylviane Mullers Erfindung ist ein Durchbruch bei der Behandlung einer unheilbaren Krankheit, welche die Lebensqualität von Millionen Menschen beeinträchtigt. Sie haben erstmals eine gezielte Behandlung in Aussicht, die den Fortschritt von Lupus anhält", so EPA-Präsident Benoît Battistelli. „Das zur Vermarktung ihrer Erfindung mitbegründete erfolgreiche Start-up Unternehmen ist ein ausgezeichnetes Beispiel für das wirtschaftliche Potenzial patentierter Erfindungen."
Kleines Peptid, großer Erfolg
Weltweit leiden zwischen 40 und 70 von 100 000 Menschen an SLE. 90 Prozent der Betroffenen sind Frauen, insbesondere junge Frauen zwischen 15 und 45 Jahren. SLE ist eine tückische und schwer zu diagnostizierende Krankheit: Die Symptome variieren von Patient zu Patient. Lupus-Patienten leiden an starker Müdigkeit, Haarverlust, Ausschlag, Fieber, Schmerzen und Entzündungen in Gelenken und Organen. Unbehandelt kann sich SLE schädlich auf Herz-, Knochen-, Blut-, Lungen- und Nierenfunktionen auswirken. Während 80 bis 90 Prozent der SLE-Patienten die gleiche Lebenserwartung haben wie gesunde Menschen, kann Lupus dennoch zu Organversagen oder schwerwiegenden Infektionen führen und die Lebensdauer verkürzen.
Die Immunbiologen um Sylviane Muller wollten zunächst herausfinden, wie die Krankheit genau entsteht. Sie testeten Moleküle aus Aminosäuren - Peptide, die eine große Rolle in der Zellfunktion spielen - an mit Lupus infizierten Zellkulturen. Dabei geschah etwas vollkommen Unerwartetes: die Forscher fanden genau das Peptid, welches SLE schon bei der Entstehung verhindern kann. „Damals hatten wir nicht vor, ein Medikament zu entwickeln. Wir hatten lediglich eine Methode gesucht, Lupus zu diagnostizieren. Und dann entdeckten wir, dass ein bestimmtes Peptid die Krankheit enorm verlangsamt", sagt Muller.
Ihre Forschungen enthüllten bald ein Muster hinter der Krankheit: Als Hauptauslöser identifizierte Muller sogenannte CD4 T-Zellen und entwickelte auf Basis des entdeckten Peptids mit der Bezeichnung P140 ein Medikament, um diese Zellen abzustellen. „Wir haben die Peptide synthetisiert und dabei festgestellt, dass sie mit den Immunzellen von Lupus-Patienten reagieren", erzählt die Immunologin. Dank des Medikaments kommt der fehlerhafte autoreaktive Prozess gar nicht erst in Gang, die Entzündung wird aufgehalten. Das Peptid wirkt damit wie ein „Aus"-Schalter für die Krankheit und ist ein echter Meilenstein in der Lupus-Therapie. Das Immunsystem bleibt intakt - ein Paradigmenwechsel, der auch eine enorme Erleichterung für die Patienten bedeutet, die bisher mit Steroiden und anderen Mitteln behandelt wurden, die das Immunsystem hemmen. Mit solchen Therapien gingen schwere Nebenwirkungen einher und der Körper wurde durch das unterdrückte Immunsystem anfällig für Infektionen.
Mullers Erfindung verspricht eine große Verbesserung für Lupus-Patienten weltweit. Der Wirkmechanismus r hat sich bereits für breite Patientenkreise als geeignet erwiesen. Damit setzt Lupuzor individuell zugeschnittenen Medikamentenverordnungen, die die Kosten für Versicherungen und Erkrankte in die Höhe treiben, ein Ende. Der Mechanismus könnte zukünftig auch bei der Entwicklung von Medikamenten gegen andere Krankheiten (einschließlich autoimmnune und nicht-autoimmune Erkrankungen) zum Einsatz kommen.
Vom Patent zum zukunftsweisenden Medikament
2001 meldeten Muller und ihr Team ein Patent auf P140 an. „Es ist sehr wichtig, denn ohne Patent interessiert sich weder die Pharmaindustrie noch eine große Firma für einen, und die Arbeit wird nicht geschätzt", sagt Muller. Der vom Forscherteam entwickelte Peptid-Synthesizer war ausschlaggebend für die Herstellung des Peptids in großen Mengen. Muller ist Mitbegründerin zweier Unternehmen, die dabei helfen sollen, Lupuzor vom Labor auf den Markt zu bringen: Neosystem (heute Polypeptide France, 1986) und ImmuPharma (2002).
Lupuzor befindet sich aktuell in der finalen Testphase. ImmuPharma ist Eigentümerin der Patente auf das Medikament und plant, dieses 2018 in den USA und in fünf EU-Mitgliedstaaten auf den Markt zu bringen - ein Prozess, bei dem ImmuPharma-Mitbegründer und -Präsident Robert Zimmer eine wichtige Rolle zukommt. Das Unternehmen schätzt den voraussichtlichen jährlichen Umsatz auf über 940 Millionen Euro. Laut einer Studie von GlobalData wird der Ertrag für Arzneimittel zur Behandlung von SLE und Lupus Nephritis, einer durch SLE verursachten Nierenentzündung, in den sieben weltweit größten pharmazeutischen Märkten bis 2025 bei drei Milliarden Euro liegen.
Ein Leben im Dienste der Immunologie
Seit mehr als drei Jahrzehnten arbeitet die international anerkannte Expertin Sylviane Muller bereits in der Lupus-Forschung. In dieser Zeit meldete sie 24 Patente an - 16 davon beim Europäischen Patentamt. Ihren Doktortitel erwarb sie an der Universität von Straßburg und erforschte danach Immunreaktionen am Max-Planck Institut für Immunbiologie in Freiburg. Heute ist sie unter anderem Forschungsleiterin am CNRS und leitet seit 2001 das Labor für therapeutische Immunologie und Chemie am Institut für molekulare und zellulare Biologie (IBMC) in Straßburg. Sie gründete das Labor, um Lupus erforschen zu können, und ist dort für über 50 Forscher verantwortlich
Den Erfolg ihres Labors führt die Immunologin auf die Zusammenarbeit der klügsten Köpfe aus verschiedenen Feldern, von Medizin und Physiologie bis hin zu Biochemie und Chemieinformatik, zurück. Diese Formel scheint zu funktionieren. Für ihre Beiträge zur Behandlung immun-entzündlicher Krankheiten erhielt Sylviane Muller bereits zahlreiche renommierte Auszeichnungen, unter anderem den Appolo-B Award von Roche (2007), die Silver medal of CNRS (2010), die CNRS Innovation Medal (2015) und den französischen Académie des Sciences Grand Prix Léon Velluz (2016). Auf die Frage, ob die Wissenschaftlerin sich vorstellen könne, das Labor zu verlassen, um eine größere Rolle in ihrem erfolgreichen Unternehmen zu spielen, antwortet sie: „Ich denke jeder sollte da bleiben, wo er oder sie am stärksten ist. Ich habe mich dafür entschieden, im Labor zu bleiben und zu forschen."
Medien- und Servicepaket:
- Onlinefähiges Videomaterial und Fotos
- Über die Erfinder
- Der Blick auf das Patent: EP1425295
Europas Universitäten und öffentliche Forschungsinstitute: ein besseres Morgen erfinden
Sylviane Muller gelang der Durchbruch in ihrem Labor an der Universität von Straßburg, das Teil des französischen National Centre for Scientific Research (CNRS) ist. Das 1939 gegründete CNRS ist eine von Europas führenden Forschungsbehörden. Weitere CNRS-Wissenschaftler, die in den vergangenen Jahren mit einem Europäischen Erfinderpreis in der Kategorie Forschung ausgezeichnet wurden, sind unter anderem Ludwik Leibler (Gewinner, 2015) für die Erschaffung einer neuen Kunststoffklasse namens „Vitrimere", und Gilles Gosselin mit Team (Gewinner, 2012) für die Entwicklung eines revolutionären Medikaments gegen Hepatitis B. Lesen Sie mehr über Europas Forschungseinrichtungen.
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