Nichtinvasiver Ultraschall erspart Patienten schmerzhafte Biopsien: Mathias Fink und Mickael Tanter als Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert
- Digitales Ultraschall-Bildgebungsverfahren: Französische Physiker für den Preis des Europäischen Patentamts (EPA) nominiert
- Das System kombiniert ultraschnelle Ultraschallbildgebung mit Scherwellen und ermöglicht es Ärzten, Unterschiede in der Gewebeelastizität zu erkennen, die auf Tumore hinweisen können
- Die Technologie ermöglicht eine schnelle, effektive, nichtinvasive Diagnose von Weichteilerkrankungen, die den Patienten schmerzhafte Biopsien erspart
München, 4. Mai 2021 - Das Europäische Patentamt (EPA) gibt die Nominierung der französischen Physiker Mathias Fink und Mickael Tanter für den Europäischen Erfinderpreis 2021 als Finalisten in der Kategorie „Forschung" bekannt. Damit werden sie für ihr neues Ultraschall-Bildgebungsverfahren gewürdigt: Die Scherwellen-Elastographie (Shear Wave Elastography/SWE) kombiniert ultraschnelle Ultraschall-Bildgebung mit Überschall-Scherwellen und ermöglicht Ärzten die Diagnose von Weichteilerkrankungen wie Brustkrebs oder Lebererkrankungen. Diese Diagnoseart ist schneller und erspart Patienten schmerzhafte invasive Biopsien.
Das bahnbrechende SWE-Konzept ist das Ergebnis der Forschung von Fink und Tanter, und ging aus einer Kombination von Physik und Medizin hervor. Die beiden Forscher erstellten einen Prototypen des Geräts und gründeten 2005 gemeinsam mit weiteren Partnern das Start-up SuperSonic Imagine. Bis heute hat das Unternehmen mehr als 2 700 solcher Geräte verkauft, die Ärzten in mehr als 80 Ländern auf der ganzen Welt bei der Diagnose helfen.
„Das Gerät von Fink und Tanter kann Behandlungsmöglichkeiten für Patienten grundlegend verändern, da es eine schnellere und genauere Diagnose ermöglicht", so EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten des Europäischen Erfinderpreises 2021. „Der Patentschutz für das Verfahren wie auch für die Technologie hinter ihrer Erfindung war ein entscheidender Schritt für die Unternehmensgründung und damit um die neue Technologie auf den globalen Markt zu bringen."
Die Gewinner des jährlichen Innovationspreises des EPA werden am 17. Juni 2021 ab 19 Uhr im Rahmen einer Galaveranstaltung bekannt gegeben, die in diesem Jahr als digitales Event für ein weltweites Publikum neu konzipiert wurde.
Nachverfolgung von Überschallwellen für eine nichtinvasive Krebsdiagnose
Bei der Diagnose von Weichteilerkrankungen wie Brustkrebs müssen Ärzte häufig die schwierige Entscheidung zwischen einer negativen Diagnose, die im Falle einer Fehldiagnose tödlich sein könnte, und der Durchführung einer invasiven Biopsie treffen, um die Krankheit auszuschließen. Mit der Entwicklung der SWE-Bildgebung stellen Fink und Tanter Ärzten daher ein wichtiges neues Werkzeug für die Diagnostik zur Verfügung.
Mit der Idee für die SWE-Bildgebung beschäftigten sich die Erfinder erstmals 1996 am „Wave and Acoustics Laboratory" der ESPCI ParisTech. Zu dieser Zeit promovierte Tanter bei Fink. Gemeinsam mit seinen Doktoranden Stefan Catheline und Laurent Sandrin plante Fink ein einfaches Gerät, das Scherwellen - also niederfrequente Wellen, die eine „Schubkraft" ausüben - mit Ultraschall kombiniert, um die Elastizität einer Substanz zu messen. Ursprünglich wollten sie mit ihrem Gerät die Härte und den Reifegrad von Camembert-Käse ermitteln. Fink erkannte allerdings schnell das medizinische Potenzial der Methode, präzise Angaben über die Elastizität menschlichen Gewebes zu machen. „In jedem Tumor verändert sich die Gewebestruktur", erklärt Fink, „und Scherwellen sind die einzigen Wellen, die Unterschiede in der Gewebeelastizität abbilden können."
Mit Tanter, Sandrin und einem weiteren Doktoranden, Jeremy Bercoff, konnte Fink die entscheidende Voraussetzung für die SWE-Methode entwickeln: ein digitales, ultraschnelles Ultraschall-Bildgebungssystem. Als erstes seiner Art war es in der Lage, 10 000 Bilder pro Sekunde zu erzeugen. Fink, Tanter und Bercoff gelang es dann, einen funktionierenden SWE-Prototypen zu erstellen, indem sie gleichzeitig Scherwellen mit Überschallfrequenz erzeugten und diese Wellen über ultraschnelle Ultraschallbildgebung beobachteten.
Die Funktionsweise des Systems basiert darauf, einen langanhaltenden Ultraschallimpuls auf einen bestimmten Gewebereich zu konzentrieren, sodass dieser mit Überschallgeschwindigkeit bewegt wird und dadurch eine intensive Scherwelle entsteht. Während das Gewebe als Reaktion auf diese Schubkraft vibriert, werden jede Sekunde Ultraschallbilder aufgenommen, um zu beobachten, wie sich die Scherwelle durch das Gewebe ausbreitet. „Unser Ultraschall erzeugt einen ultraschnellen Film der Scherwellen, die sich durch den Körper bewegen", erklärt Fink, „Mit diesem Film können wir die Festigkeit eines jeden Gewebes abbilden." Mithilfe einer speziellen Software werden diese Informationen in eine hochauflösende, farbcodierte Karte verwandelt, um die Elastizität des Gewebes darzustellen. Ärzte können dies in Echtzeit betrachten, indem sie das Ultraschallgerät über die Haut eines Patienten bewegen, um so schnell das Vorhandensein von krankem Gewebe auszuschließen oder potenzielle Probleme zu identifizieren, die weiter untersucht werden müssen.
Fink stellte den erfolgreichen Prototyp großen Unternehmen der Medizinelektronik vor, um einen Partner für die Produktentwicklung zu finden. Der Prototyp wurde allerdings aufgrund seiner enormen physischen Größe und der damals revolutionären, software-basierten Architektur - herkömmliche Ultraschall-Scanner waren seinerzeit alle hardwarebasiert - nicht angenommen. Nach zehn Jahren Forschung und Entwicklung und der Anmeldung von zwei europäischen Patenten im Jahr 2002 beschlossen die Erfinder, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, um ihre Forschung in den medizinischen Sektor zu bringen und ihren Prototypen zu kommerzialisieren.
Nichtinvasive Diagnostik: der Weg in die Krankenhäuser
2005 gründeten Fink und Tanter mit sechs weiteren Mitgründern, darunter Bercoff, das Start-up SuperSonic Imagine. Ein Jahr später schloss das Start-up seine erste Investitionsrunde ab und nutzte die Mittel, um zehn Prototypen herzustellen, die für erste Tests in Krankenhäusern zur Behandlung von Brustkrebs aufgestellt wurden. „Nur weil wir ein Patent hatten, konnten wir bei der Gründung von SuperSonic Imagine 10 Millionen Euro von einem Investor erhalten", sagt Fink. „Ohne Patent wäre das nicht möglich gewesen."
Die Prototyp-SWE-Plattform war äußerst erfolgreich: Die Zahl der Brustkrebsbiopsien wurden um mehr als die Hälfte reduziert. 2009 brachte SuperSonic Imagine sein AixPlorer SWE-Bildgebungsgerät auf den Markt, das nach dem Firmensitz in Aix-en-Provence benannt ist. Seit der Zulassung für den klinischen Einsatz in Europa 2008 und im Jahr darauf in den USA wird das Gerät inzwischen auf der ganzen Welt genutzt. 2017 bestätigte eine internationale Multicenter-Studie mit 1 134 Patienten die Vorteile von SWE bei der Diagnose von Leberfibrose, die in 10 bis 30 Prozent der Fälle als schwerwiegende Erkrankung unterschätzt wird. Bis heute wurde die Qualität des SWE-Geräts von SuperSonic Imagine in mehr als 300 Veröffentlichungen, die einer Peer Review unterzogen wurden, bestätigt. Das Gerät ist mittlerweile bei vielen Millionen klinischen Untersuchungen zum Einsatz gekommen. Es konnte nachgewiesen werden, dass seine Verwendung die klinische Behandlung verschiedener Krankheiten von Schilddrüsen- bis Prostatakrebs sowie von gynäkologischen und pädiatrischen Erkrankungen verbessert.
SuperSonic Imagine hat sich inzwischen auch in China etabliert und baut seine globale Marktpräsenz seit seiner Übernahme durch das US-Medizintechnik-Unternehmen Hologic, Inc. 2020 aus. Bis 2024 wird ein Volumen von 30,1 Milliarden Euro für den weltweiten Markt für diagnostische Bildgebung, auf dem sich Fink und Tanter mit ihrer Erfindung bewegen, prognostiziert.
Hinweise für die Redaktionen
Informationen zu den Erfindern
Professor
Mathias Alexandre Fink wurde am 18. Oktober 1945 in Grenoble, Frankreich,
geboren. Er studierte zunächst Mathematik an der Universität Paris und schloss
1968 ein Masterstudium der Physik an der Universität Paris-Sud ab, bevor er
1970 an der École Normale Supérieure - Universität Paris in Festkörperphysik
promovierte. Er hatte Professuren an der Universität Louis Pasteur in
Straßburg, der Universität Paris Diderot und dem Collège de France inne. Von
1990 bis 2009 war er Direktor des „Wave and Acoustics Laboratory" an der ESPCI
Paris. 1997 erhielt er die ESPCI-Professorenstelle, die er heute innehat. Fink
gründete 2009 das Institut Langevin (CNRS/ESPCI Paris) als Forschungsinstitut
für Wellen und Bilder und war bis 2014 dessen Direktor. Aus seiner Forschung
sind sechs Start-ups hervorgegangen: Echosens, Sensitive Object, Time-Reversal
Communications, Cardiawave, Greenerwave und Supersonic (wo er noch immer als
Gesellschafter und wissenschaftlicher Berater tätig ist).
Professor Mickael Tanter wurde am 31. Dezember 1970 in Paimpol, Frankreich, geboren. Nach seinem Studium der Elektrotechnik an der Supélec (École Supérieure d'Électricité) erwarb Tanter einen Master of Science in Akustik an der Universität Paris Diderot, wo er 1994 auch in Physik promovierte. Von 2000 bis 2005 war er Forschungsbeauftragter am CNRS, dem französischen Nationalen Zentrum für Wissenschaftsforschung. Danach wurde er Forschungsdirektor am INSERM, dem französischen Nationalen Institut für Gesundheit und Medizinische Forschung. Von 2009 bis 2018 war er stellvertretender Direktor des Institut Langevin sowie von 2008 bis 2018 Direktor für „Wellenphysik für Medizin" innerhalb des Instituts Langevin. Er ist jetzt Direktor des Paris Institute of Physics and Technology for Health (Inserm/CNRS/ESPCI Paris). 2005 war er Mitbegründer des Start-ups SuperSonic Imagine. Zudem war er Mitbegründer der Unternehmen Seisme, Cardiawave und Iconeus.
Mathias Fink und Mickael Tanter halten 42 bzw. 13 europäische Patente, darunter die Patente EP2561380, EP2342582, EP1866667, EP1546757, EP1998680 und EP1531734, für die sie für den Europäischen Erfinderpreis 2021 nominiert wurden.
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische
Erfinderpreis ist einer der
renommiertesten Innovationspreise Europas. Er wurde 2006 vom EPA ins Leben
gerufen und ehrt einzelne Erfinder und Erfinderteams, deren wegweisende
Innovationen Antworten auf einige der größten Herausforderungen unserer Zeit
geben. Die Finalisten und Gewinner werden von einer unabhängigen Jury bestehend aus internationalen Experten aus
Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Akademie und Forschung ausgewählt. Sie prüft
die Vorschläge hinsichtlich ihres Beitrags zum technischen Fortschritt, zur
gesellschaftlichen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung
von Arbeitsplätzen in Europa. Der Preis wird in fünf Kategorien (Industrie,
Forschung, KMU, Nicht-EPO Staaten und Lebenswerk) verliehen. Der Gewinner des Publikumspreises
wird von der Öffentlichkeit aus den 15 Finalisten über ein Online-Voting
ermittelt.
Über das EPA
Mit 6 400 Bediensteten ist das Europäische
Patentamt (EPA) eine der größten Behörden in Europa. Das EPA, das
seinen Hauptsitz in München sowie Niederlassungen in Berlin, Brüssel, Den Haag
und Wien hat, wurde mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den
Staaten Europas auf dem Gebiet des Patentwesens zu stärken. Dank des
zentralisierten Verfahrens vor dem EPA können Erfinder hochwertigen
Patentschutz in bis zu 44 Staaten erlangen, die zusammen einen Markt von rund
700 Millionen Menschen umfassen. Außerdem ist das EPA weltweit führend in den
Bereichen Patentinformation und Patentrecherche.
EPA-Pressekontakt
Luis
Berenguer Giménez
Hauptdirektor Kommunikation, Sprecher
Tel.: +49 89
2399 1203